
Warum es sich lohnt, die Karrieremotive seiner Mitarbeiter zu hinterfragen
In unregelmäßigen Abständen berichten wir von interessanten Fällen aus der Karriereberatung, dieser* ist insofern bemerkenswert, als dass eine Kündigung durch ein High Potential vermieden werden konnte und dieser einen neuen Bezug zu seiner Jobrolle gefunden hat:
*Namen und Orte sind aus Datenschutzgründen geändert worden
Der Fall
Matthias L, 31 Jahre alt stammt aus einer Unternehmerfamilie, hat sein Abitur auf einem Eliteinternat am Bodensee gemacht und ein internationalen MBA-Studium im Ausland absolviert. Zahlreiche seiner ehemaligen Schul- und Studienkollegen haben bereits „Karriere“ in der Wirtschaft gemacht und verfügen teilweise bereits über Führungsverantwortung und Einfluss. Matthias dagegen ist Consultant bei einer der Big Four WP-Gesellschaften mit Sitz im Ausland und ist naturgemäß viel in Projekten unterwegs.
Die Herausforderung
Matthias fühlt sich zunehmend verunsichert und zweifelt daran, ob die aktuelle Aufgabe und der Arbeitgeber noch „stimmig“ für ihn sind. Er hat sich auf der Motivationsspirale bereits deutlich nach unten bewegt und denkt bereits über eine Kündigung bzw. über einen Arbeitgeberwechsel nach. Wesentlicher Punkt hierbei ist, dass er denkt, viele seiner Buddies ziehen in der Wirtschaft (nach oben) davon und bleibt zurück, zudem spürt er eine Unzufriedenheit seiner Eltern, die von ihm eigentlich eine andere „Karriere“ erwartet haben.
Matthias kommt in die Beratung, um vor einer Kündigung noch einmal zu reflektieren und seine nächsten Schritte zu planen. Auf einer seiner Reisen findet er Zeit für ein intensives Coaching.
Die Vorgehensweise
Matthias absolviert vor dem Termin das online Assessment Career View©, das Ergebnis wird ausgewertet.
Zusätzlich stellt Matthias sein CV zu Verfügung, um seinen bisherigen Werdegang nachvollziehbar zu machen.
Die Auswertung des Ergebnisses des Assessments ergibt, dass es im Persönlichkeitsbild des Coachees eine messbare Diskrepanz gibt, zwischen
- Karriere-Präferenzen
(das Bild von Karriere, welches Matthias aus seinem Elternhaus und aus seinem Studienumfeld vorgelebt bekommen und unreflektiert übernommen hat)
und seinen individuellen
- Karriere-Motiven
(die gegenwärtigen Wünsche und Vorstellungen, welche sich aus seiner eigenen Realität ergeben und sich anders als das bisher vorgelebte Modell entwickelt haben)
Die biografische Betrachtung ergibt das potentielle Bild einer angehenden Führungskraft oder Managers, die Aktivitäten und Inhalte seines Studiums sowie seiner Vorbilder oder Mentoren weisen auf eine entsprechende Führungslaufbahn hin.
Im Gespräch reflektiert Mattias über die bisherige Prägung und seinen erhaltenen Auftrag, die Karriere seines Vaters wiederholen zu müssen, also eine lineare Karriere zu verfolgen. Das Ergebnis des CareerView© Assessments sowie der systemischen Betrachtung seiner Lebensrealitäten und Wünsche ergibt jedoch ein ganz anders Bild:
In den Karrieremotiven zeigt sich eher das Bild des Experten mit Leidenschaft (WP-Experte) gepaart mit einer spiralen Karrierieorientierung. Dagegen ist die lineare Orientierung (das Modell seines Vaters) eher schwach ausgeprägt, noch weniger Interesse hat Matthias an schnell wechselnden Aufgaben oder Arbeitgebern (transitory), er hat ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und Kontinuität.
Zur Erinnerung hier noch mal die verschiedenen Karriereorientierungen.
Offenbar ist Matthias gar nicht so unzufrieden in seinem Job: er gilt als ausgesprochener Experte in seinem Fachbereich und hat eine glänzende Zukunft in der Karriereentwicklung bei seinem Unternehmen in Aussicht und er fühlt sich in der Rolle des gefragten Ratgebers und Beraters sichtlich wohl. Was ihm jedoch fehlt, ist mehr Abwechslung in den Projekten, in denen er tätig ist, sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf Einsatzorte, Mandanten oder Personen.
Was allerdings nach wie vor in seiner Lebenszufriedenheitsanalyse defizitär ist, ist sein Social Life – also die Quantität und Qualität seiner sozialen Beziehungen und Privaten Aufenthalten in seinem aktuellen Wohnort am See.
Der Lösungsansatz
Matthias ist sichtlich irritiert von dem Ergebnis der Analyse und nimmt viel Gedankenstoff mit in den Flieger nah Hause. Nach einer Woche meldet er sich per Skype und bedankt sich dafür, dass ich ihm die Augen für seine eigene Identität geöffnet habe. Er berichtet, dass er bereits ein ein Gespräch mit seinem Vorgesetztem mit dem Ziel geplant hat, das Ergebnis der Analyse seiner Karriereorientierung zu kommunizieren und seine konkreten Erwartungen zu formulieren. Also mehr Abwechslung mehr Seitwärtsbewegungen, wenn möglich ein schnellerer Wechsel seinen Aufgaben und eine inhaltliche Aufwertung, bzw. wieder mehr Herausforderung.
Das Ergebnis
Matthias arbeitet zum Glück für ein Unternehmen, welches „ein Ohr“ für die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter hat und welches versucht, die Karrierekultur durch möglichst individuelle Karrierepfade zu fördern. Allerdings ist es systemimmanent, dass die zahlreichen Berater zunächst mal „funktionieren“ müssen, bevor man über individuelle Karriereentwicklungen sprechen kann, der Vorgesetzte vermittelt Matthias eine starkes Gefühl der Wertschätzung und stellt in Aussicht, sich bei der nächsten kommenden Gelegenheit mehr Mitspracherecht bei der Auswahl der Projekte und seinen Aufgaben eingeräumt zu bekommen. Matthias fühlt sich verstanden, behält aber ein ungutes Gefühl, da er beobachet, wie sich Kollegen auf einer vergleichbaren Ebene in seinen Augen „verschleißen“
Matthias lässt aber seine Pläne, das Unternehmen zu verlassen, fallen und plant für die kommenden Jahre, sich weiter als Experte zu profilieren, dabei aber auf mehr Abwechslung und mögliche Seitwärtsbewegungen zu achten. Nach der Beraterlaufbahn will er über seine weitere Entwicklung nachdenken, auch eine selbständige Tätigkeit in einer Kanzlei scheint ihm dabei nicht ganz ausgeschlossen. Für die nächsten Jahre hat seine Firma nun jedoch wieder einen motivierten und engagierten Spezialisten.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!